Diagnostik

Früherkennung

Da sich die Mehrzahl der unbehandelten Skoliosen verschlechtert, kommt der Früherkennung eine herausragende Bedeutung zu.

Der Skoliosebeginn ist schleichend und verursacht nur selten Schmerzen, wegen derer Betroffene einen Arzt aufsuchen würden. Aus diesem Grund ist für die Skoliosefrüherkennung eine jährlich durchgeführte schulärztliche Vorsorgeuntersuchung im typischen Entstehungsalter der idiopathischen Adoleszentenskoliose zwischen 11 und 13 Jahren bei Mädchen und 12 und 14 Jahren bei Jungen notwendig.

Da Vorsorgeuntersuchungen dieser Art in Deutschland nicht zur Routine gehören, ist die Früherkennungsrate der Skoliose hierzulande sehr gering.13 Hier käme vor allem den Sportlehrern die Aufgabe zu, regelmäßige Skoliose-Screenings durchzuführen und evtl. Fehlformen weiterzumelden.14

Um eine Progredienz auszuschließen oder sie frühzeitig zu erkennen, sollten diagnostizierte (festgestellte) Skoliosen während des Wachstumsalters in festen Abständen von 4-6 Monaten ärztlich kontrolliert werden, skoliotische Fehlhaltungen bis zu 10° Cobb mindestens einmal jährlich.

Diagnose und Verlaufskontrolle

Eine gewisse Skoliosefehlhaltung (Krümmungen bis 10° Cobb) und geringe Skoliosen sind häufig, nur die wenigsten brauchen Behandlung. Es gibt jedoch keine Möglichkeit vorherzusagen, welche Skoliosen progredient werden. Aufgrund dessen sollten während des Wachstumsalters alle Skoliosen in festen Abständen von 4-6 Monaten ärztlich kontrolliert werden, skoliotische Fehlhaltungen bis zu 10° Cobb mindestens einmal jährlich.

Die idiopathische Skoliose ist zunächst lediglich eine Deformierung, die keine Beschwerden verursacht. Kinder werden Ärzten vorgestellt, weil sie seitlich die Hüfte herausschieben, wegen ungleicher Taillendreiecke, schiefer Schultern oder Abweichungen des Oberkörpers von der Mitte (Lotabweichungen).

Als klinische Untersuchung, die auch in der Skoliose-Früherkennung Anwendung findet, eignet sich am besten der Vorbeugetest (Adams Test). Dabei neigt sich der Patient mit locker hängenden Armen und durchgestreckten Beinen nach vorne über (eine eventuelle Beinlängendifferenz muss mit einer Unterlage ausgeglichen werden), eine zweite Person blickt dann von hinten über den Rücken und erkennt eventuelle Asymmetrien wie einseitig erhöhte Rippen und Schulterblätter (beginnender Rippenbuckel), einseitig stärker ausgeprägte Lendenmuskulatur (der sog. Lendenwulst) und einen verkrümmten Verlauf der Wirbelsäule.

Jede Verdrehung des Rumpfes, die sich durch Ungleichmäßigkeiten am Oberkörper bemerkbar macht, ist ein Hinweis auf eine beginnende Skoliose und muss radiologisch untersucht werden. Gerade so erkennbare Verdrehungen der Wirbelsäule und der dazugehörigen Rumpfabschnitte entsprechen häufig bereits einer seitlichen Verkrümmung von bis zu 20° Cobb, bei der bereits eine Korsettversorgung indiziert sein kann.

Eine Wirbelsäulenganzaufnahme von vorne (a-p; anterior-posterior) oder hinten (p-a: posterior-anterior), welche an einem Stück die Beckenkämme abbildet und bis zur Halswirbelsäule reicht, ist auch zur Bestimmung der Progredienzwahrscheinlichkeit und Auswahl der geeigneten Therapiemethode notwendig; außerdem auch zum Ausschluss bzw. der Diagnose anderer Wirbelsäulendeformitäten die zusammen mit Skoliosen auftreten können (wie Spondylolysen, Morbus Scheuermann, angeborene Wirbelfehlbildungen) und um zu einem späteren Zeitpunkt als Vergleichsaufnahme zu dienen, um das Ausmaß einer stattgefundenen Progredienz bestimmen zu können. Beim Röntgen sollte eine eventuelle Beinlängendifferenz vorher ausgeglichen werden. Aufnahmen im Liegen sind nicht verwertbar.

Zur Erstuntersuchung sollte neben der Wirbelsäulengesamtaufnahme in frontaler Ebene auch eine Aufnahme in sagittaler (seitlicher) Ebene (l-l; latero-lateral) angefertigt und untersucht werden. Hierauf kann auch eine reduzierte Brustwirbelsäulenkyphose (Hypokyphose, Flachrücken) als ein prognostisch ungünstiges Zeichen für den weiteren Verlauf der Skoliose erkannt werden. Bei späteren Kontrollen genügt in der Regel eine frontale Röntgenaufnahme.

Anhand des Röntgenbildes wird der Winkel der einzelnen Krümmungen nach Cobb bestimmt sowie die Verdrehung (Torsion, Rotation) der Wirbel, entweder nach der einfacheren Methode nach Nash und Moe oder der genaueren Methode nach Raimondi.15 16 An den Beckenkämmen wird der Risser Grad festgestellt.

Prognostisch wichtige Daten sind außerdem das Alter des Patienten, bei Mädchen der Zeitpunkt der ersten Regelblutung und die Reifezeichen (Entwicklung der Brüste, Achsel- und Schambehaarung).

Röntgenuntersuchungen der Wirbelsäule sollten aus Gründen des Strahlenschutzes nicht häufiger als einmal pro Jahr stattfinden. Da sich Skoliosen speziell in der Pubertät häufig innerhalb weniger Monate drastisch verschlechtern, sollten bei den dazwischen liegenden Kontrolluntersuchungen strahlungsfreie Untersuchungsmethoden zur Anwendung kommen. Eine preiswerte Messmethode, die aussagekräftige und in Zahlen vergleichbare Daten liefert, ist die Skoliometermessung nach Bunnell.

In Skoliosezentren kommt häufig auch die computergestützte dreidimensionale lichtoptische Vermessung (Videoraster-stereographie) des Rückenprofils zum Einsatz. Der bloßen Sichtkontrolle durch einen Arzt ist auch eine Verlaufsdokumentation mittels Fotos vorzuziehen. Des Weiteren können zur Einsparung der Strahlendosis sogenannte „low dose”-Aufnahmen mit verkürzter Belichtungszeit durchgeführt werden, die nur zum Ausmessen des Krümmungswinkels geeignet sind.

Bei schweren Skoliosen ist auch die Feststellung des Körpergewichtes und der Vitalkapazität (Atemparameter) von Bedeutung. Ein überproportionaler Verlust an Körpergröße kann insbesondere bei ausgewachsenen Patienten Hinweis auf eine Progredienz sein. Beim Verdacht auf andere (nicht idiopathische) Ursachen der Skoliose sollte frühzeitig eine Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT) der gesamten Wirbelsäule angefertigt werden.

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